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Hannes Meyer, gemalt von Paul Camenisch (1953)

© Kunstmuseum Olten (Depositum Freunde Kunstmuseum Olten 2006)

Ausstellung "Das Prinzip Coop" im Bauhaus-Archiv: Volksbedarf statt Luxus!

Die Deutungshoheit über das Bauhaus liegt seit den 1930ern bei Walter Gropius. Dabei gab es noch einen anderen: Die Ausstellung "Das Prinzip Coop" würdigt den vergessenen Bauhaus-Architekten Hannes Meyer.

Hannes Meyer ist der böse Bube der Bauhaus-Geschichte. Der zweite Direktor der Lehranstalt, von Bauhaus-Gründer Gropius bei dessen Ausscheiden 1928 berufen und aus politischen Gründen 1930 von der Stadt Dessau entlassen, wurde alsbald zur Unperson. Meyer ging in die Sowjetunion, wo er bis 1936 blieb, hatte danach als 1889 geborener Schweizer ein Intermezzo in seinem Heimatland, bevor er in Mexiko neue Aufgaben suchte, um schließlich 1949 desillusioniert zurückzukehren. 1954 starb er in der Schweiz, damals eine Unperson in West wie Ost.

Seit der umfassenden Ausstellung zu seinem Lebenswerk, die das Bauhaus-Archiv Berlin mit dem Deutschen Architekturmuseum Frankfurt/M. 1989 veranstaltete, ist es mit diesem bewussten Vergessen vorbei. Wenn nun die Stiftung Bauhaus Dessau unter der neuen Direktorin Claudia Perren eine Ausstellung zu Meyer unter dem Titel „Das Prinzip Coop“ veranstaltet, so bedeutet dies eine Reverenz an dessen lebenslanges Ideal des kollektiven Lebens und Arbeitens. Er hat das Ideal gelebt, bis zur völligen Selbstverleugnung: der Aufgabe des Berufsbilds des Architekten in der stalinistischen Sowjetunion, die er vorbehaltlos bejahte.

Scheitern an der stalinistischen Bürokratie

Meyers Œuvre ist schmal. Es darzustellen, genügt die Dessauer Schau, die wesentlich kleiner ist als das Berlin-Frankfurter Unternehmen. In jungen Jahren baute er die Genossenschaftssiedlung Freidorf bei seiner Heimatstadt Basel (1919/20), später die Bundesschule des Gewerkschaftsbundes in Bernau (1929/30), die heute als reinste Hervorbringung der Bauhaus-Lehre gilt, und die Laubengang Wohnhäuser in Dessau-Törten, die er mit „vertikalen Brigaden“ der Studierenden baute – learning by doing. Berühmt wurde Meyer mit zwei nie realisierten Entwürfen, die er mit seinem – wohl unverzichtbaren – Basler Partner Hans Wittwer einreichte: für eine Schule in Basel und für den Völkerbundpalast in Genf (1927). Beides ist reinster Konstruktivismus, in Meyers Sicht jedoch bloß funktional: Er glaubte an ein Bauen nach der Formel „Funktion mal Ökonomie“. Der Genfer Entwurf veranlasste Gropius, ihn ans Bauhaus zu berufen und dort erstmals Architektur zu unterrichten – was es ausgerechnet am Bauhaus bis dahin nicht gab.

Hannes Meyer bei der Begehung des Baugeländes der Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bernau.
Hannes Meyer bei der Begehung des Baugeländes der Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bernau.

© Erich Consemüller, Stephan Consemüller/ Stiftung Bauhaus Dessau

In Dessau ist ein schönes Modell des Völkerbundpalastes zu sehen; die Ähnlichkeit mit Entwürfen des sowjetischen Konstruktivismus ist frappierend. Als Meyer, nachdem er das Bauhaus und dessen Lehrplan gründlich verändert hatte, 1930 in die Sowjetunion kam, um ganze Städte zu projektieren, musste er an der stalinistischen Bürokratie scheitern. Dem früheren Frankfurter Stadtbaurat Ernst May oder dem Berliner Siedlungsarchitekten Bruno Taut erging es nicht anders. Aber Meyer unterwarf sich den ideologischen Windungen des Stalinismus, mitsamt der „Aneignung des klassischen Erbes“. Trotzdem musste er als einer der letzten „Spezialisten“ das Sowjetreich verlassen.

Verlierer im Bauhaus-Deutungsstreit

In Mexiko hoffte er auf neue Betätigung, kam jedoch über einen Entwurf für eine Arbeitersiedlung nicht hinaus. Sein Rückzug in die Schweiz markiert bereits 1949 den Moment des Verstummens. Gropius hatte seit den späten 30er Jahren die Deutungshoheit über das Bauhaus errungen, Meyer kam schlicht nicht mehr vor. Vergessen seine Devise „Volksbedarf statt Luxusbedarf“, mit der er sich vom früheren Bauhaus absetzte, jene „Hochschule für Gestaltung, in welchem aus jedem Teeglas ein problematisch-konstruktivistelndes Gebilde gemacht wurde“, wie er nach seiner Entlassung – wegen einer Spende für streikende Bergarbeiter! – spottete.

Auf diesen Deutungsstreit geht die Ausstellung nicht ein, wie sie überhaupt Meyers Bauhaus-Jahre als Episode in seiner Biografie verankert. Er bleibt in vielem rätselhaft. Im schmalen Katalogbuch ist sein programmatischer Text in freier Reimform von 1929 abgedruckt, „bauhaus und gesellschaft“, der mit einer Hymne an die landschaftliche Verwurzelung von Architektur endet: „zu guter letzt ist alle gestaltung schicksalsbedingt / durch die landschaft ... ein bewußtes erleben der landschaft / ist bauen als schicksalsbestimmung“. Meyer blieb ein Leben lang heimatlos, ein Kommunist eher des Herzens als des Verstandes. Übersetzt man sein Ideal der kollektiven Gestaltung aber mit Teamarbeit, rückt uns Hannes Meyer mit einem Mal ganz nahe.

Dessau, Stiftung Bauhaus, bis 4. 10., Katalog 14 €. Infos: www.bauhaus-dessau.de

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